Wie überwindet man das Tagesgeschäft für mehr Innovation?
Jede Woche eine neue Überraschung – die Märkte verändern sich. Das Tolle daran: Es bieten sich unzählige Chancen für Unternehmen, mit Innovationen ihre Märkte von morgen selbst zu gestalten. Ideen gibt es auch genug. Das einzige was stockt, ist der Innovationsprozess.
Das Problem: das Bestandsgeschäft, der Alltag und eine Organisation, die darauf ausgelegt ist. Wie soll man da regelmäßig an neuen Themen arbeiten, die davon sogar wegführen werden? 20 Hebel, um das zu ändern, und den Innovationsprozess in Gang zu bringen.
1. Irrtümer ausräumen
Im Kern des Innovationsprozesses geht es nicht darum, neue Ideen zu sammeln oder ein kreatives Brainstorming zu veranstalten, und auch nicht darum, einfach loszulegen. Ein erfolgreicher Innovationsprozess setzt zu allererst einmal Klarheit darüber voraus, wozu das Unternehmen überhaupt Innovationen braucht. Wenn die nicht vorhanden ist, wird es schwierig werden, Budget und Aufmerksamkeit zu organisieren. Das herauszufinden und gemeinsam mit den Beteiligten zu verstehen, ist der erste Schritt.
2. Die Immunreaktionen der Organisation überlisten
Jeder kennt dieses Phänomen: Sobald eine Idee entsteht, findet sich ein Kritiker. Der erklärt sofort, fast schon reflexartig, warum sie nicht funktionieren kann. „Kein Budget“, „keine Zeit“, „passt nicht in die Strategie“, „da brauchen wir erst einen Service Request“ etc. Das könnte eine Immunreaktion sein – grundsätzlich gut, weil sie die Organisation schützt, so wie sie heute funktioniert. Wer aber etwas völlig Neues realisieren will, muss das Immunsystem irgendwann umgehen. Beobachten Sie Ihre Organisation: Wann treten Immunreaktionen auf?
3. Notwendigkeit von Innovation vermitteln
Eine Organisation verändert sich nur, wenn sie wirklich muss. Wenn es also ein Problem gibt, das nicht mehr nur eine latente Gefahr darstellt, sondern ernsthaft das Geschäft gefährdet. Diese Probleme gehen von von außen, von den Märkten aus: Kunden, Wettbewerb, Geldgeber, Personal. Oder wenn ansonsten schwerwiegende Konsequenzen von außen zu befürchten sind. Erst wenn die Protagonisten der Organisation verstanden haben, dass schwerwiegende Konsequenzen drohen, suchen und finden sie einen Weg, um die Organisation zu verändern.
4. Der verdeckte Weg: U-Boot-Projekte
Kurzfristig wirksamer ist es, neue Ansätze in Form von „U-Boot-Projekten“ auf den Weg zu bringen, die einer gewissen Geheimhaltung unterliegen. Denn wenn ein Verantwortlicher im Vertrieb oder in der Produktentwicklung davon erführe, müsste er automatisch den Immunapparat anwerfen, um seine Position und das aktuelle Geschäftsmodell zu sichern. So lässt sich das Immunsystem umgehen. Allerdings setzt das eine entsprechend große oder räumlich verteilte Organisation voraus. Für Mittelständler ist dieses Mittel deshalb nur bedingt geeignet.
5. Wie soll die Innovation aussehen?
Gängige Definitionen von Innovation – etwa „neu für den Markt und wirtschaftlich verwertbar“ – helfen uns nicht weiter. Auch ob die Ansätze radikal, inkrementell oder disruptiv sein sollen, ist ersteinmal zweitrangig. Schließlich ist für das Unternehmen alles irgendwie neu. Stattdessen brauchen wir eine gemeinsame Vorstellung davon, wie eine Innovation aussehen könnte. Eine ungefähre Idee reicht, so in etwa wie „Amazon Prime für unseren Kundenservice“, oder „digitalisierte Kommunikationsprozesse mit unseren Kunden“, oder „völlig neue Leistungsideen für unsere Zielgruppe“. Also: Wie könnte so eine Innovation für Sie konkret aussehen? Was ist Ihnen dabei besonders wichtig?
6. Die Innovationsrichtung festlegen
Für die Innovationsrichtung gibt es drei Möglichkeiten:
- Wie können wir das Bestandsgeschäft ausbauen?
- Wie finden wir andere Zielgruppen, die sich für unser Angebot interessieren?
- Welche neuen Produkte können wir unseren bestehenden Zielgruppen bieten?
Davon, die vierte Richtung einzuschlagen, rate ich meistens ab. Völlig neue Gebiete zu erobern, also neue Technologien oder Leistungen für neue Zielgruppen gleichzeitig anzugehen, das scheitert meistens. Der Grund: Wir müssten neue Beziehungen im Markt und gleichzeitig neue Kompetenzen aufbauen. Damit wäre die bestehende Organisation schlicht überfordert (-> 2. Immunsystem). In der Folge wäre das so ähnlich, wie ein Start-up zu gründen und gleichzeitig das Bestandsgeschäft aus den Angeln zu heben. Ein doppeltes Risiko. Deshalb brauchen wir dann eine eigenständige Organisation, z.B. in Form einer R&D-Einheit, eines Think Tanks oder eine Corporate Venture Capital Einheit. Aber auch dann wird es schwierig werden, eine Brücke zur bestehenden Organisation zu schlagen (-> 20. Elfenbein-Turm).
7. Der Innovationsauftrag
Die Innovationsrichtung hilft uns, den Innovationsauftrag zu klären. Dieser legt fest, welchen Vorteil sich das eigene Unternehmen davon erwartet. Dafür brauchen wir eine Kette möglichst physischer Fragen, die eben nicht das persönliche Wunschergebnis vorzeichnen, wie einfach „mehr Umsatz“. Sondern: „Wie finden wir Ergänzungsleistungen für unsere Kunden?“. Oder: Wie sorgen wir dafür, dass unser Kunde nur noch bei uns einkauft? Oder auch: Wie halten wir eine bestimmte Wettbewerber-Gruppe aus dem Markt?
Zum Beispiel ein Hotel, das seine Auslastung steigern möchte: Daraus ergeben sich Fragen wie „Wie können unsere Angebote für unsere Kunden auch zu Nebenzeiten attraktiver werden?“ oder „Wie finden wir eine Zielgruppe, die unser Angebot attraktiv findet?“
Erst mit dem Auftrag nimmt der Innovationsprozess richtig Fahrt auf.
8. Klarheit: Wann ist eine Idee eine gute Idee?
Wie können Sie herausfinden, welche Ideen gut sind, ohne die Ideen zu kennen? Es braucht möglichst physische Kriterien, um das zu beurteilen. Die Kernfrage lautet: Was wollen Sie im Markt mit der Idee erreichen? Suchen wir die Leistung, die unser jetziges Geschäft ersetzt? Dann lautet die Frage: Welche Leistung würden unsere Kunden lieber kaufen? Die Idee, die unseren Kundenservice vereinfacht? Dann lautet die Frage: Wie können wir vermeiden, dass der Service überhaupt notwendig wird? Wie können wir vermeiden, dass ein bestimmter Fehler nicht auftritt? Dann ist die Entscheidung einfach: Eine Idee ist immer gut, wenn sie diese Strategie unterstützt.
9. Fokus!
Sobald Sie ein gemeinsames Verständnis haben, können Sie den nächsten Hebel ziehen: Fokus! Das heißt, Sie gehen nicht zu viele Innovationsthemen auf einmal an. Der Grund: Wenn zum Beispiel fünf Experten 20 Prozent ihrer Zeit für Innovationen einsetzen (und das ist schon relativ viel neben dem Tagesgeschäft), dann ist in Summe eine Ressource verfügbar, jedoch auf fünf Köpfe verteilt. Wenn diese Köpfe an zu vielen Themen gleichzeitig arbeiten, brauchen sie zu viel Abstimmung, geschweige denn Überwindungsenergie. Wer einmal am Freitagnachmittag an völlig neuen Themen arbeiten wollte, der weiß was ich meine. Stattdessen gibt man sich gegenseitig inhaltsarme Status-updates. Besser nur zwei Themen, aber diese gezielt vorantreiben!
10. Verantwortlichkeiten abgrenzen
Für Innovationen muss nicht zwingend die ganze Organisation verantwortlich sein. Es braucht aber einen Projektleiter, der unternehmerische Verantwortung trägt und Freiraum hat, Dinge auszuprobieren. Dieser Projektleiter braucht ein Team von Fachexperten, die Probleme in seinem Auftrag lösen. Und er ist auf Tippgeber aus der Organisation angewiesen – die wiederum Anknüpfungspunkte an das Projekt finden müssen und deshalb in einen gegenseitigen Austausch eingebunden werden. Erst wenn klar ist, welche Rolle mit welcher Unterstützung rechnen kann, dann kann die Organisation mithelfen.
11. Erfolgskennzahlen behutsam definieren
Legen Sie im Innovationsauftrag die Größenordnung für Ihre Innovationsvorhaben fest, zum Beispiel einen bestimmten Umsatz, den Sie auf mittlere Sicht mit der Innovation erwirtschaften wollen – aber nicht zu detailliert. Der Innovationsauftrag bestimmt lediglich die Größenordnung. Zu diesem Zeitpunkt wäre es zu früh, den Prozess mit fixen Zahlen zu steuern, weil das die Aufmerksamkeit ablenkt und die Aktivitäten erstickt. Es genügt, ihm eine Richtung und eine Größenordnung zu geben.
12. Von der Zielgruppe her denken
Ganz entscheidend: ganz konsequent aus Sicht der Zielgruppe zu denken – und eben nicht nur ausgehend von dem, was wir bisher schon anbieten. Und dann die Frage zu stellen: wie passt das zu dem, was Sie erreichen wollen? Sonst arbeiten Sie nur um sich selbst herum.
13. Sich neu mit der Zielgruppe beschäftigen
Aber Vorsicht vor der Vertrautheitsfalle: Je besser und länger man den Kunden bereits kennt, desto mehr ist man vielleicht auf ein bestimmtes Thema mit ihm eingespielt. Das ist so ähnlich wie bei einem alten Ehepaar. Man weiß ja, was der andere will – und fragt gar nicht mehr nach anderen Seiten. Auch mit den negativen Seiten und den eigenen Schwächen hat man sich arrangiert. Also: Welche Seiten von Ihrem Partner (Kunden) kennen Sie noch nicht?
14. Die eigene Denke über Bord werden
Unser Selbstverständnis bestimmt unsere Wahrnehmung und den Lösungsraum für Innovationen: Die traditionellen Automobilhersteller sind von Ingenieurskunst bestimmt und darauf ausgerichtet, Zulieferer zu steuern und aus Komponenten Autos zusammenzubauen. Tesla dagegen ist vielmehr bestimmt von Algorithmen und den Lösungsansätzen von Software-Herstellern. Amazon wiederum ist ein Händler bzw. Mittler und würde kaum eine eigene andere Technologie entwickeln, als die die ihre Prozesse unterstützen. Von welchen Fähigkeiten ist Ihr Denken geprägt? Wie können Sie daraus ausbrechen? Wo müssen Sie das unbedingt?
15. Die eigene Rolle im Markt neu bestimmen
Ist Ihr Unternehmen Verteidiger oder Herausforderer auf dem Markt? Der Verteidiger ist meist viel mehr an die Konventionen des bestehenden Marktes gebunden. Er hat Strukturen aufgebaut, die er erhalten muss. Ein Herausforderer hat nichts zu verlieren und kann sich den Markt und seine Rolle komplett neu definieren. Um Ihre Rolle neu zu finden, lautet die Frage: Was würden Sie tun, wenn Sie neu in Ihren Markt eintreten würden?
16. Schnell einen Prototyp auf den Markt bringen
Die Herausforderer auf den Märkten machen es vor: sie bringen schnell einen Prototypen heraus und testen ihn. So sind sie näher an den Kundenbedürfnissen und können auch Veränderungen leichter mitmachen, als wenn sie lange ein Produkt entwickeln, ohne zu wissen, was der Markt davon hält. Dafür müssen sie allerdings auch Perfektionismus und Over-Engineering hinter sich lassen. Für den Verteidiger ist das natürlich doppelt schwer. Denn er muss die Erwartungen an seine Marke erfüllen. Dies ist eine der größten Hürden in der Umsetzung.
17. Routine für unstrukturierte Aufgaben entwickeln
Im Innovationsalltag mit das Schwierigste sind unklare und unstrukturierte Aufgaben. Sie werden oft gegenüber den strukturierten Aufgaben zurückpriorisiert, weil diese sich vermeintlich produktiver anfühlen. Schließlich lässt sich eine Reisekostenabrechnung leichter machen, als mal eben ein neues Produkt erfinden.
Können Sie das nicht überwinden, dann stockt der Innovationsprozess sofort. Wir brauchen also mehr Routine, um auch solche Aufgaben in einzelne Schritte zu zerlegen und nacheinander anzupacken. Oder Sie finden Wege und Unterstützer, die den Mitarbeitern im ersten Schritt dabei helfen.
18. Passende Methoden
Außerdem brauchen wir Methoden für den Innovationsprozess, die wir im richtigen Moment abrufen können (Denkwerkzeuge). Dabei kommt es nicht darauf an, das beste Werkzeug zu haben – sondern zum Beispiel ein einfaches Framework, um mal eben ein paar Kundenwünsche skizzieren zu können. Oder ein simples Moderationsframework, um ein gezieltes Brainstorming mit Kollegen umzusetzen. Diese Werkzeuge helfen dabei, Routine zu entwickeln.
19. Den Blick für die Dinge am Wegesrand schärfen
Hier widerspreche ich der gängigen Meinung. Ein wesentlicher Irrtum bei Innovationen ist es, möglichst viele Ideen zu haben, um sie dann immer weiter zu reduzieren, bis die eine geniale Innovation übrig bleibt (den Trichter immer schmaler machen). Andersrum funktioniert es viel besser: die Anstrengungen auf ein bestimmtes Ziel oder Problem richten, um dann später den Trichter aufzumachen. Was haben wir noch dabei gelernt, was davon lässt sich noch verwerten? So haben wir Fokus und abwegige Dinge gleichzeitig erreicht. Mit viel weniger Energie.
20. Innovation aus dem Elfenbeinturm herausholen
Wenn Ideen gut sind und weiterentwickelt werden, heißt das leider nicht unbedingt, dass sie in der Organisation umsetzbar sind. Je länger eine Idee als U-Boot-Projekt bearbeitet wurde, desto schwieriger wird es, sie hinterher in die Organisation einzugliedern. Deshalb braucht man möglichst früh im Prozess einen internen Kunden oder Auftraggeber, der dann das Ergebnis des Innovationsprozesses übernimmt. Innovationsprojekte sollten deshalb möglichst nah an den Standards der Organisation eingeschleust werden. Ein Widerspruch. Deshalb liegt hier der größte Hebel, um eine Organisation zu schaffen, die dauerhaft Innovationen hervorbringt.
Kein Hebel
All diese 20 Hebel in Bewegung zu setzen, das erfordert zugegeben einen gewissen Aufwand. Was jedenfalls kein Grund für einen stockenden Innovationsprozess ist: die Ausrede, es fehlten die Ideen. Denn davon gibt es immer genug, wenn der Auftrag und das Problem klar sind.
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Dr. Torsten Herzberg. Unternehmensentwickler, Vorwärtsbringer, Org-Hacker.
Meine Auftraggeber - sie haben ein tolles Team und starke Ideen. Und sie haben größeres vor. Sie entwickeln neue Strategien, treiben Innovationen voran, ihr Unternehmen wächst. Dabei ist es vor allem die eigene Organisation und ihr Zusammenspiel, das ihnen im Wege steht. Gemeinsam überwinden wir diese Grenzen und heben das Team auf ein neues Leistungsniveau. Wir machen Ziele und Ideen umsetzbar, bereiten die Organisation auf Wachstum vor, und entwickeln notwendiges Know-how. Mit welchen Fragen sie noch zu mir kommen, erfahren Sie hier.